Kardinal Gropper
Theologie & Geschichte

Marsilius von Padua

1275/80 - 1342/43


Marsilius von Padua, geboren um 1275/80 in Padua, gestorben 1342/43 in München, stand schon früh unter dem Einfluss des Paduaner Averristen Pietro d’Abano. 1312 erlangt er in Paris den Magistergrad. Von Dezember 1312 bis März 1313 war Marsilius Rektor der dortigen Universität. Darüber hinaus war er für die oberitalienischen Ghibellinen Cangrande della Scala und M. Visconti in Frankreich in diplomatischen Diensten tätig. Seit 1320 widmete er sich in Paris naturphilosophischen, medizinischen und theologischen Studien. Marsilius stand in engem Kontakt zum Haupt der Pariser Averrismus, Johannes de Janduno und vollendete 1324 seinen Defensor pacis. Bereits kurz nach der Entdeckung seiner Verfasserschaft war Marsilius 1326 an den Hof Ludwigs IV. des Bayern geflohen. Am 3. 4. 1327 bannte Papst Johannes XXII. ihn zusammen mit Janduno und verurteilte fünf Sätze aus dem Defensor pacis. In diesem Werk entwickelte Marsilius, geprägt von den Eindrücken die das französische Staatswesen auf ihn gemacht hatten, eine auf der aristotelischen Staatslehre ruhende eigene und umfassende Staats- und Rechtsphilosophie, worin er die überkommenen mittelalterlich Ideen einer eccclesia universalis übernahm, sie aber mit einer gewagten, revolutionären Definition der Stellung der Kirche in der Welt verband und weiterentwickelte. Er verwarf das normative Naturrecht und lehnte eine kirchliche potestas coactiva ab. Seine Ideen, schienen zwangsläufig auf die Auflösung der Kirche hinzuführen. Für Marsilius bildete die Heilige Schrift die einzige Glaubensquelle, wohingegen er die Tradition als Ergebnis historischer Ereignisse und Entwicklungen betrachtete und ebenso wie den päpstlichen Herrschaftsanspruch, in dem er nichts weniger als den wahren Grund für die Friedlosigkeit seiner Zeit sah, verwarf. Auch das kanonische Recht verurteilte er scharf. In der von ihm hergeleiteten Staats- und Rechtslehre steht jede staatliche Gewalt ausschließlich dem Volk zu. Die Rechte aller anderen staatlichen wie kirchlichen Institutionen sind hiervon abgeleitet. Der Herrscher erscheint als ein vom Volk zu wählender Repräsentant einer communitas perfecta fidelium, dem die Sicherung von Frieden und Einheit sowie der Vollzug der erlassenen Gesetze obliegt. Zudem gesteht Marsilius ihm die Kirchenaufsicht, die Einsetzung der Priester sowie die Verfügungsgewalt über das Kirchengut zu. Auch wenn Marsilius den Priestern weiterhin das Amt der Verkündigung und die Sakramentenspendung zubilligt, so leugnet er dennoch einen prinzipiellen Unterschied zwischen Priestern und Laien und lehnt infolgedessen die hierarchische Struktur der Kirche als mit dem Evangelium unvereinbar ab. Seine staatsrechtlichen Ideen überträgt er analog auf die Kirche, wo er dem Volk die alleinige Gesetzgebungsgewalt zuweist. Marsilius entwirft als höchste Instanz in Bezug auf eine letztgültige Entscheidung in Glaubensfragen oder Fragen der Schriftinterpretation, ein aus gewählten Klerikern und Laien gebildetes Generalkonzil, dessen Einberufung wiederum alleinig dem gewählten weltlichen Repräsentanten, dem legislator humanus, zustehe.

© André & Frank Hagemann, 2007