Kardinal Gropper
Theologie & Geschichte

Jacques Lefèbvre d'Etaples


Kurze Zeit später floh Lefèbvre an den Rhein, um in Ruhe seine Kommentare zu den Paulusbriefen verfassen zu können. Wurde schon im Vorwort des quincuplex Psalterium deutlich, dass hier eine neue Phase im Leben Lefèbvres begann, so markierte sein Commentaire sur St. Paul noch in einem weit größeren Maße einen Wendepunkt in seinem Leben. Sein Erscheinen war eines der entscheidenden Ereignisse der Reformation. Die Verpflichtung, sich streng und alleine an den vorgegebenen Wortlaut der Heiligen Schrift zu halten, die Quelle und Regel jedes wahren Christentums darstellt, und die Insuffizienz menschlicher Werke als Heilsmittel werden klar herausgestellt. In Folge machte sich Jacques Lefèbvre d’Etaples daran, eine französische Übersetzung der Bibel zu erarbeiten. 1523 beendet er die Übersetzung der Evangelien, 1530 diejenige des Alten Testaments. Später führte Olivétan sein Werk fort und veröffentlicht es 1535.

Es wäre sicherlich falsch zu behaupten, Lefèbvre habe anfangs die Tragweite seiner Theologie nicht erkannt oder die drohende religiöse Revolution nicht vorhergesehen, denn tatsächlich äußerte er bereits gegen 1512 seinem Schüler Guillaume Farel gegenüber “Mein Sohn, Gott wird die Welt erneuern und du wirst Zeuge davon sein.”

Die folgenden fast prophetischen anmutenden Worte Lefèbvre im folgenden Zitat aus seinem Werk über die Paulusbriefe verdeutlichen den Charakter seiner Arbeit besonders gut: “Die Kirche folgt bedauerlicherweise dem Beispiel ihrer Führer und ist weit entfernt von dem, was sie eigentlich sein sollte. Dennoch kündigen die Zeichen der Zeit an, dass eine Erneuerung nicht fern ist und dass Gott der Verkündigung des Evangeliums durch die Entdeckungen der Portugiesen und Spanier in allen Teilen der Welt neue Gebiete erschließt, weshalb zu hoffen bleibt, Gott werde auch seine Kirche aus dem Abgrund, in den sie gefallen ist, erheben. Jacque Lefèbvre d’Etaples war mit Marguerite d’Angoulême, der Königin von Navarra, befreundet, zu deren Familiaren er auch gehörte. Er versammelte einige der bedeutendsten Wissenschaftler der Zeit um sich, wie  den Mathematiker Charles de Bovelles (1453), Josse Clichtove (1472-1543), Guillaume Farel (1489-1565) und den Bischof von Meaux und Reformator Guillaume Briçonnet (1471-1534).

© André & Frank Hagemann, 2007