Kardinal Gropper
Theologie & Geschichte

Antoine Perronet de Granvelle

1517 - 1586


Trotz seiner Erfahrung sollte sich Granvella über den Ursprung dieser mit zerstörerischer Wut über Europa hereinbrechenden Flutwelle, die innerhalb kurzer Zeit den alten katholischen Glauben aus weiten Teilen der niederländischen Provinzen hinweggefegt haben würde, geirrt haben, denn die Reformation war weit weniger eine religiöse Bewegung, als das sie eine politische Bewegung war, die dem Volk ein gewisses Maß an Selbstidentifikation angesichts des von einem großen Teil des Volkes als bedrohlich empfundenen modernen Verwaltungsstaates, wie ihn die Burgunder eingeführt und nun die Spanier mit aller Gewalt gegenüber den alten Rechten der jeweiligen Provinzen durchsetzen wollten. Kurz nach dem Rücktritt der Statthalterin als Reaktion auf Albas Ankunft in den Niederlanden als Minister Philipps II. von Spanien, verzichtete auch Granvella, der gerade mit der Reorganisation der kirchlichen Verwaltung und der Festlegung der Zirkumskription der niederländischen Diözesen beschäftigt war, auf alle seine Ämter. Diese innerkirchliche Verwaltungsreform ging auf eine Initiative Karls V. zurück, dem es jedoch nicht gelungen war, seine Vorstellungen durchzusetzen. Karls Kirchenreform zielte vor allem auf eine Zerstückelung der alten Erzdiözese Köln, zu der die Mehrzahl der niederländischen Bistümer gehörte. Dies sollte ihm vor allem zur Zerschlagung auch der alten Machtstrukturen dienen, um darauf mit Hilfe der neuen von ihm eingesetzten Domkapitel an den alten verknöcherten Strukturen, deren Repräsentanten sich in den Kapiteln bisher, auch ihrer völligen Unabhängigkeit von kirchlichen wie weltlichen Autoritäten wegen, vorbei, die dringend nötigen Reformen durchführen zu können. So konnte Karl V. zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Einerseits, konnte er sich auf diese Weise des als schädlich erachteten Einfluss seitens der überkommenen Strukturen des Heiligen Römischen Reichs entledigen, dessen unausweichlicher Verlust für dir Sache des Katholizismus für ihn feststand. Andererseits wurde er so die alten örtlichen Eliten los, die bei weiten mehr Interesse daran hatten, eifersüchtig ihre alten Vorrechte und Privilegien zu hüten, als auch nur ein wenig von ihrer Macht zu Gunsten der nötigen Reformen abzugeben.

Tatsächlich waren es eigentlich immer die Kapitel gewesen, die jede Veränderung, aus Angst einige ihrer Rechte preisgeben zu müssen, zu verhindern gewusst hatten. Und natürlich auch aus Angst, Einfluss zu verlieren. Jetzt hatte Philipp II. die Zügel in seine Hände genommen, damit er die Reform nunmehr ohne jede Rücksichtnahme auf die, das brüchige Verhältnis zwischen Bischöfen, Kapiteln und weltlichen Autoritäten regelnde strikten Gebräuche, angehen zu können. Hierbei muss man allerdings berücksichtigen, dass eben jene vermeintlich veralteten Rechtsgewohnheiten und Gebräuche über ihre rechtliche Funktion hinaus einen darüber hinausgehenden gewissermaßen nationale Identität stiftende Bedeutung hatten, über die sich in eine Art Nationalbewußtsein, falls man wagen sollte, es zu einem derart frühen Zeitpunkt so zu nennen, gebildet hatte. Aber, eben diese alten Strukturen verhinderten auch jede kirchliche Erneuerung. Trotzdem nahmen breite Schichten des Volks deren Zerstörung angesichts des immer großer werdenden Eindrucks zunehmender Fremdherrschaft, wie sie in der Entsendung Albas deutlich zu Tage trat, durchaus als Identifikationsverlust wahr. In dieser Zeit nahm die von den Burgundern eingeleitete Entwicklung hin zum modernen Staat ein für die Bevölkerung erschreckendes Ausmaß an. Die moderne Verwaltung, insbesondere der Beamte, wie ihn moderne Staatswesen kennen, verdrängte mehr und mehr die bekannten feudalen Strukturen.

© André & Frank Hagemann, 2007